Ich wuchs in einer typischen Schweizer Arbeiterfamilie auf und bekam die Werte der Arbeiterklasse vermittelt. Frauen hatten damals nicht viel zu sagen und Frauenbewegungen gab es noch nicht. Also tat die Mutter einfach ihre Pflicht, wie man es von ihr erwartete: Kindererziehung, Putzen, Kochen und den Mund halten. Bei uns zuhause wurde viel gestritten und manchmal kam es auch zu Handgreiflichkeiten. Unsere Familientreffen verliefen meistens unharmonisch. Gehässigkeit und Wut anstelle von Liebe und Zuneigung. Ich dachte „Die Sprache der Vernunft scheint nicht in diesen Erwachsenen-Köpfen zu existieren“. Was auch immer mein Bruder und ich fragten oder sagten, unser Vater widersprach und wollte uns eines Besseren belehren. Allerdings klangen seine Argumente nie sonderlich vernünftig, oder waren nicht verständlich begründet. Er kannte nur einen einzigen Maßstab: Geld! Leistungen anderer Art zählten für ihn anscheinend nicht. Was ich durch meinen Vater erlernte, war das Skifahren, Fischen und das suchen von leckeren Waldpilzen. Ein Wissen, welches ich heute noch anwende und überaus dankbar dafür bin.

Wie dem auch sei, es ist nicht sehr verwunderlich, dass auch für mich irgendwann Geldverdienen zum wichtigsten Lebensinhalt wurde.

Manchmal mussten wir Kinder Schläge einstecken. Wenn meine Mutter das liest wird sie vermutlich denken: „Thomas, bitte übertreibe nicht. Du bist nicht sehr oft geschlagen worden!“ Nun, die seelischen Verletzungen schmerzten mehr als die körperlichen. Die physischen Hiebe waren größtenteils Ohrwatschen.  

Einige waren bestimmt begründet, weil als kleiner Junge kam ich auf die glorreiche Idee, mit einem Hammer ausgerüstet die Fensterscheiben des Geschäftes meines Großvaters zu zerschlagen. Ein schöner Klang, wie die Scheiben ohrenbetäubend klirrten. Es machte mir einen solchen Spaß das ich ungefähr 20 Stück in der Größe von 50x50cm einschlug.

Die Antwort auf meine Handlung waren gefühlte 20 Ohrwatschen. Einmal habe ich das trockene Grass einer Wiese in Brand gesetzt. Nur mit Glück und dem Einsatz eines Mannes, der das ganze beobachtete, wurde das Feuer unter Kontrolle gebracht, bevor es das naheliegende Holzhaus erfassen konnte. Besonders clever war gefundene Munition auszuprobieren. Die Patrone habe ich auf einen Stein gelegt und mit einem anderen Stein darauf geschlagen. Pämm! Solche Experimente endeten dann in einer Notlüge.

Der Arzt meinte: Da ist doch eine Kleinkaliberkugel im Bauch?Was? Ups, das kann durchaus sein. Klar doch!“ Und wie kommt die da rein? Ich habe es genau gesehen, jemand aus dem Wald hat mit einem Luftgewehr auf mich geschossen. Wissen Sie wir spielen mit dem Nachbardorf gerade Kriegsspiele.“ Aha? Soso! Du hattest Glück, die Kugel ist nur knapp an der Pulsader im Bauch vorbei. Die Kugel kann man drin lassen, sie ist nicht groß. Sind Sie sicher?“ Ganz sicher. Okay, in Ordnung. Uff!“  Zum guten Glück nichts Ernstes.

Wir waren schon verrückte Kerle und haben uns Baumhäuser mit gestohlenen Holzbrettern des benachbarten Baugeschäftes gebaut und mit den selbst geschnitzten Steinschleudern uns gegenseitig beschossen. Ausversehen habe ich Urban eine spitzig scharfe Zaunraffe in das Gesicht gespickt! Bäm! Da steckte sie nun in seinem zarten Kindergesicht. Gott sei Dank nur knapp unter seinem Auge, schreiend und blutend ist er Nachhause gerannt. Es ging nicht lange bis das Telefon bei meiner Mutter klingelte. Die Mutter von Urban hatte keine Freude an unserem Treiben. Verständlicherweise gab es zuhause wieder eins auf die Kappe. Wir sind durch selbst gelegte Feuer gesprungen, welche wir mit Hilfe von gestohlenem Benzin entfachten, oder haben uns Molotowcocktails gebaut und diese im nahe gelegenen Kieswerk zur Explosion gebracht. In der Winterzeit sind wir mit den Skiern überall hinuntergefahren und dabei habe ich einmal eine Lawine ausgelöst. Mit viel Glück konnte ich mich an dem letzten Grasbüschel, bei der Schneeabbruchstelle festhalten, ansonsten wäre ich über die Felskante gestürzt. Damit ich die Fahrt fortsetzen konnte musste ich die Skis abschnallen und bin Zu-fuß zu dem nächsten Schneefeld gegangen.

Als Junge durfte ich mit dem Zug zu den Großeltern nach Deutschland in den Sommerurlaub fahren. Dort lernte ich viel über das Leben und über den familiären Zusammenhalt. Diese Erfahrungen haben mich mutiger gemacht und mein Selbstvertrauen gestärkt. Schließlich unternahm ich die lange Reise nach Deutschland ohne Begleitung und dachte mir während der Zugfahrt: „Wenn ich schon als kleiner Junge ganz allein nach Deutschland reisen kann, dann müsste ich mich unabhängig in der Welt zurechtfinden können?“

Mein zweiter Großvater aus Deutschland war im zweiten Weltkrieg in Stalingrad an der Front. Ich ziehe meinen Hut vor ihm, denn er musste Grauenvolles durchleben. Er wurde von einem Granatensplitter am Arm getroffen und hatte aber Glück im Unglück denn dank seiner schweren Verwundung überlebte er das Drama im Hexenkessel von Stalingrad. Danach konnte er diese Hand nie wieder gebrauchen und an Arbeiten war deshalb nicht zu denken.

Trotz seiner Verletzung hat er die Lebensfreude nie verloren und wir gingen jeden Tag mit dem Hund (Fifi) in den nah gelegenen Laubwald spazieren und brachten dort morsche Bäume zu Fall, bis eines Tages meinem Großvater ein dicker Ast auf die Nase krachte.

Blutend, aber doch mit einem lachenden Auge verließen wir den Wald, um später zurückzukehren und weiter herumzualbern. Viel Zeit verbrachte ich auch in dem im Dorf gelegenen Freibad. In diesem gab es einen beeindruckenden 10-Meter-Sprungturm. Schwimmen erlernte ich mit sieben Jahren in einem Sommerurlaub am Mittelmeer. Niemand kümmerte sich um mich und überprüfte was ich im Wasser trieb.

Auf diese Weise bin ich beinahe ertrunken. Es war folgendermaßen, dort gab es diesen ca. 1.5 – 2 Meter hohen Wellengang. Diese Wellen waren meistens sehr konstant in den Abständen. Beim Hüpfen und Tauchen in den Wellen war der Abstand für einmal nicht regelmäßig, sondern es folgten zwei Wellen kurz aufeinander.

Dieser Umstand und die Wucht der nachfolgenden Welle überraschten mich dermaßen, dass ich ohne einatmen unter Wasser gezogen wurde. Hechelnd und hustend habe ich es irgendwie geschafft den Fluten zu entrinnen. Ein Freibad gab es bei uns in den Bergen nicht, dafür hatten wir viele Möglichkeiten zum Wandern, Klettern und alle erdenklichen Wintersport Möglichkeiten.

Thema: „Bergsteigen“ Da fällt mir eine weitere Geschichte ein. Zusammen mit meinem Freund Martin bin ich an einer überaus gefährlichen Felswand hochgeklettert. Als ich realisierte, dass jetzt nur ein falscher Handgriff zum Absturz genügte und weiter oben auch noch die Steinböcke und Gämsen am herumklettern waren, schoss mir der Gedanke durch den Kopf. Jetzt, ein von den Tieren losgetretener Stein könnte hinunterrollen und mich tödlich treffen. Wegen diesen Gedanken geriet ich in Panik. Wie vom Blitz getroffen wurden meine Beine butterweich! Was tun? Ich wusste das der Abstieg auf der anderen Seite der Wand leichter sein würde. In der Schockstarre wartete ich eine Stunde bis ich endlich Mut fasste, um ganz nach oben zu klettern. Seither weiß ich, dass ich nicht schwindelfrei bin und ich es mit dem Bergsteigen sein lassen sollte.

Meine Naturverbundenheit erlangte ich nicht nur beim Großvater in Deutschland, unteranderem auch durch die Winterlichen Wildtierfütterung mit Eugen. Eugen war Angestellter bei der Örtlichen Müllabfuhr und in seiner Freizeit beschäftigte er sich mit den Wild-Tieren. Das faszinierte mich und wir bepackten an vielen kalten grauen Wintertagen Planen mit Heu, Salzsteinen und Tresterabfällen.

(Trester sind die vorwiegend festen Rückstände, die nach dem Auspressen des Saftes von Obst, Gemüse oder Pflanzenbestandteilen, wie Äpfeln, Weintrauben, Karotten oder Tomaten übrigbleiben)

In diesen mit Plastik beschichteten Planen zogen wir das Futter durch die tief Verschneiten Wälder zu den Futterstationen.  Von den Anstrengungen schweißgebadet, stopften wir das Futter in die dafür vorgesehenen Behälter. Danach kletterten wir auf die im Sommer errichtete Beobachtungsplattform. 

Dabei ergaben sich unglaublich schöne Begegnungen mit Hirschen, Rehen, Füchsen, Hasen, Gämsen und Steinböcken, welche mich bis heute prägen. Ein Erlebnis war außergewöhnlich: Immer im Frühling von März-April wenn der Schnee geschmolzen ist, ging ich die abgeworfenen Hirsch oder Rehbock-Geweihe suchen. Auf einer dieser Suche beginnt plötzlich der Untergrund wie bei einem Erdbeben zu zittern. Anfänglich wusste ich nicht was das war, wie aus dem Nichts rannten mir ein Rudel von ca. dreißig Hirschen und Hirschkühen entgegen. Zu Tode erschrocken, hüpfte ich schutzsuchend hinter einen mächtigen Tannenbaum. Die wahrscheinlich von einem Hund auf gescheuten Tiere bleiben auf wundersame -weise um mich stehen. Die haben mich vor lauter Stress gar nicht bemerkt.  Was für ein überwältigender und zugleich auch ein beängstigender Eindruck, solche stolze Tiere in Berührungsdistanz zu erleben. Ihren in der kalten Luft dampfenden Atem auf Augenhöhe zu fühlen ist einfach unbeschreiblich. Dennoch war ich erleichtert als sie sich gemächlich von mir weg in den Wald entfernten.

Es gäbe noch manch weitere Anekdote aus dieser Zeit zu erzählen.